Ausgangssituation
Die Wertstrommethode ist eine in der produzierenden Industrie weit verbreitete Methode zur Analyse und Neugestaltung von Material- und Informationsflüssen mit dem Ziel, Prozesse zu verbessern und Verschwendung zu reduzieren. Die Aufgabe der Wertstromanalyse ist es, Transparenz über den Ist-Zustand eines bestehenden Wertstroms zu schaffen, um Potenziale für einen verbesserten Produktionsfluss zu identifizieren. Anknüpfend daran wird im Zuge des Wertstromdesigns ein verschwendungsarmer Soll-Zustand entwickelt. Die Methode stellt aufgrund der einfachen Handhabung und ihrer hohen Effektivität eines der wichtigsten Werkzeuge der Schlanken Produktion dar. Ihre Schwächen sind allerdings in der Forschung und der Praxis wohl bekannt:
- Da die Modellierungssprache auf einfache, lineare Materialflüsse ausgerichtet ist, fällt es schwer, komplexe Wertströme mit vielen Verzweigungen oder gar mehreren Produktfamilien zu erfassen.
- Das Erkennen der Prozessschritte, die Aufnahme der richtigen Daten und die Gestaltung eines Soll-Zustands sind nicht trivial und hängen von der Erfahrung der Anwender ab.
- Die Wertstromkarte ist ein statisches Abbild der Produktion, basierend auf Momentaufnahmen und Schätzungen, in dem keine Variabilität erfasst wird.
- Die manuelle Aufnahme von Zeiten, Beständen und Kennzahlen macht die Wiederholung der Wertstromanalyse sehr aufwändig.
Zielsetzung
Die fortschreitende Digitalisierung im Produktionsumfeld bietet das Potenzial, die Schwächen der Methode durch den gezielten Einsatz von Datenanalysen zu adressieren und diese damit auf ein neues Niveau zu heben. Das Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen forscht seit Anfang 2019 zu diesem Thema und kooperiert seit Januar 2020 hierzu mit der Unternehmensberatung STAUFEN.DIGITAL NEONEX GmbH. Die Zielsetzung der Auftragsforschung besteht darin, die methodische Grundlage zu legen, um aus Betriebs- und Planungsdaten automatisiert Auswertungsformate ableiten zu können, welche die Wertstrommethode vereinfachen und verbessern. Im Ergebnis steht eine Sammlung nützlicher Analysewerkzeuge, welche auf einer gemeinsamen Datenbasis aufbauen und im Rahmen eines erprobten methodischen Vorgehens eingesetzt werden. Die Werkzeuge und das Vorgehen werden gemeinsam erforscht und entwickelt. Ihr unmittelbarer Einsatz in Beratungsprojekten ermöglicht ein direktes Feedback, welches der kontinuierlichen Weiterentwicklung dient.
Vorgehensweise
Das Team zur Durchführung der WSM wird im datenunterstützten Vorgehen um einen Data Scientist erweitert, welcher die Produktfamiliendefinition durch Clusteranalysen unterstützt, die Wertstromaufnahme durch eine neutrale Perspektive basierend auf Process Mining Auswertungen ergänzt und Designaktivitäten mit jeweils dafür zugeschnittenen Datenanalysen zu höherer Aussagekraft befähigt.
1. Produktfamilienbildung und Segmentierung
Für die Segmentierung des Wertstroms werden Produktfamilien anhand einer Produkt-Prozess-Matrix bestimmt. Diese lässt sich mittels Data Mining aus den Bewegungsdaten des Unternehmens ermitteln. Die Gruppierung von Produktfamilien wird durch den Einsatz von Clusterverfahren beschleunigt und vereinfacht. Das Mitführen der Produktfamilienzuordnung in den weiteren Datenanalysen erlaubt eine getrennte Analyse und Gestaltung der Wertstromsegmente, ohne deren Zusammenhänge mit anderen Produkten, wie z.B. durch geteilte Ressourcen, außer Acht zu lassen.
2. Datengestützte Wertstromanalyse
Mit Hilfe von Techniken des Process Mining können aus Rückmeldedaten der Produktion Prozessflüsse rekonstruiert und dazugehörige Kennzahlen berechnet werden. Zur Unterstützung der Prozessaufnahme werden Discovery Algorithmen eingesetzt. Die hierbei erzeugte Prozesskarte erfasst mehrere Produktfamilien gleichzeitig und kann Komplexität abbilden. Anknüpfend an die Prozesserkennung können Performanceanalysen durchgeführt werden, die es ermöglichen, Kennzahlen wie Durchlaufzeiten, Bearbeitungs- oder Wartezeiten aus den Ereignisdaten zu extrahieren. Dies ermöglicht eine zuverlässige Quantifizierung der Wertstromanalyse. So konnte in ersten Industrieprojekten bspw. die Kundennachfrage, der Anteil einer Produktfamilie am produzierten Jahresvolumen oder die Maschinenzuordnung bei geteilten Ressourcen um jeweils über 20 % gegenüber der ersten Einschätzung der Prozessexperten korrigiert werden.
3. Datengestütztes Wertstromdesign
Zur Unterstützung des WSDs werden für jede Designaktivität passende Analyseformate zur Auswertung von Stamm- und Bewegungsdaten entwickelt. Diese Analysen erlauben es, Szenarien für alternative Designs zu erstellen und zu evaluieren. Eine gemeinsame Datenbasis ermöglicht dabei eine genaue Berücksichtigung aller Zusammenhänge. Eine zentrale Rolle spielen dabei der Kapazitätsabgleich, die Auslegung von FIFO- und Supermarkt-Beständen sowie die Planung der (rüstminimalen) Produktionsreihenfolgen. Das datenbasierte Vorgehen erhöht durch fundierte Entscheidungen die Effektivität der Methode und erleichterte die Priorisierung von Kaizen-Aktivitäten anhand von Szenario-Analysen. Darüber hinaus erleichtert die erstellte Datenstruktur die Wiederholung der WSD-Aktivitäten mit geringem Aufwand, sodass der Wertstrom kontinuierlich weiterentwickelt werden kann.
Danksagung
Wir danken STAUFEN.DIGITAL NEONEX GmbH für die Förderung des Projekts und die stets gute Zusammenarbeit.
Fördergeber